domingo, 14 de marzo de 2021

Bekenntnisse und Bagatellen. Über die Musik des Mexikaners Sergio Cárdenas

 

MICHAEL THUMSER*

Bekenntnisse und Bagatellen

Über die Musik des Mexikaners Sergio Cárdenas

 

1

 

     Lassen wir uns eine Geschichte erzählen,

    meine Damen und Herren,

    und lassen wir zu, dass es eine schlimme Geschichte ist. Sie spielt in einem Land im Umbruch, gesellschaftlich durch Parteiengezänk zerrissen, gelähmt von Reformstau, betäubt von Beschwichtigungsparolen der Obrigkeit, geistig und geistlich auf mancherlei Holzwegen irrend. Von einem Dissidenten handelt die Geschichte, der nicht nur genug Zivilcourage hat, sondern auch den Zwang spürt, den Mund aufzumachen gegen die herrschenden Schichten und den herrschenden Zeitgeist. Hitzköpfig, wortgewaltig sieht er fünf Regierungschefs und ihren Regierungskrisen zu; und sieht endlich sein Land, das eine unkluge Bündnispolitik betreibt, von Feinden umschlossen. Der Rebell scheut sich nicht, den Teufel an die Wand zu malen: die entschiedenste Friedenspolitik fordert er, Appeasement, Demilitarisierung, kampflose Übergabe gar; anders sei dem Totalverlust der nationalen Identität nicht zu wehren. Als Wehrkraftzersetzer wird er festgenommen und unter entwürdigenden Bedingungen inhaftiert. Doch aufs Furchtbarste behält er Recht mit seinen Prognosen. Das Land wird überrannt, die Hauptstadt belagert und eingenommen, die Bevölkerung misshandelt oder getötet, zerstreut und verschleppt. Der Widerständler zeichnet im Exil die Denkwürdigkeiten seines Lebensweges auf und stirbt, fern der Heimat, die es nicht mehr gibt.

    Wie aus dem 20. Jahrhundert klingt die Geschichte. Und doch trug sie sich, so oder ähnlich, vor über 2600 Jahren zu. Die Bibel erzählt sie uns: ihr Protagonist heißt Jeremia - der Unglücksbote ist einer der „Großen Propheten“. Ein hoffnungsloser Prophet, den der Lauf der Geschichte in all seinen Kassandra-Rufen bestätigte.

    Auch Musik erzählt diese Geschichte; Sergio Cárdenas, dem wir den heutigen Abend widmen, erzählt sie uns. Und paradoxerweise, provozierend beinah steht über seiner Partitur ein Titel, der den Predigten des biblischen Schwarzsehers zuwiderzulaufen scheint: So I will hope (1)In seinem halbstündigen Oratorium für Solobariton, Chor und Orchester - das die Symphoniker 1999 hier in Hof uraufführten - verbindet er sechs Auszüge aus den „Klageliedern Jeremias“; die stammen zwar nicht vom Propheten selbst, fanden aber mit gutem Grund unter seinem Namen Eingang ins Alte Testament.

    Tatsächlich berichten sie ganz in seinem Geist von Gottes Strafgericht über ein gottloses Volk: von der Zerstörung Jerusalems, dem Ruin des Staates Juda, der Babylonischen Gefangenschaft unter Nebukadnezar. Bewusst inszeniert Cárdenas die Unstimmigkeit zwischen dem Figurencharakter Jeremias und der Botschaft, die schon gleich der Titel seines Werks verheißt: Hoffnung; Signal auch für unsere, scheinbar aussichtslose Zeit. Die Botschaft, gewonnen aus Unheil, ist Heilsbotschaft.

    Dabei erzählt der Komponist die schlimme Geschichte vollständig: insofern, als er dem Hörer auch die Verzweiflung nicht erspart. Mehr noch: in deren tiefsten Abgrund führt er ihn. Sozusagen mit dem auskomponierten Nichts hebt sein Oratorium an: ein schmerzhaft hoher Geigenton, vereinzelte perkussive Akzente anderer Instrumente; fahle Düsternis: klangliches Sinnbild für das verwüstete, „verwitwete“, verwaiste Jerusalem. Die hochgemute, hochmütige Prinzessin von einst kauert verlassen in Sack und Asche. Jene Situation, ein bewegungsloses Ereignis, hat Cárdenas in Atmosphäre übersetzt: Es ist die Vollendung eines Verhängnisses, von der er da mit schlichten Mitteln erzählt.

    Leis lamentierend setzt der Chor ein, wie gelähmt erst, später sich ereifernd. Vorübergehend gibt das Orchester dem inneren Druck explodierend nach - und beteiligt sich dann doch, auch mit einer Kantilene der SoloTuba, an den Klageliedern der Vokalisten. Im zweiten Abschnitt ergreifen die Nachbarn Jerusalems höhnend das Wort: eilfertig zerreißen sie sich die Mäuler über die Zerschlagene. Das Schlagzeug beteiligt sich, der Chor klatscht in die Hände und pfeift - ganz wie der Text das vorsieht -, und der Solobariton schmäht mit einem Jazz-Gesang von hinterfotziger Fetzigkeit.

    Solch erbarmungslosem Zynismus widerspricht anschließend ein zu Tode beruhigter Mitleids-Appell; dessen Tonsatz verflicht Cárdenas, von den tiefen zu den hohen Streichern aufbauend, in einer Fugen-Kontrapunktik von barocker Dichte. Der Chor schreit Jammer heraus - doch gleich darauf, in einem unvermittelten, dabei wunderbar schlüssigen Übergang, signalisieren spätromantische Orchesterakkorde trostreiche Milde: kündigen künftigen Trost an, während der Chor noch von Tränen und Trübsal singt. Abermals mischt der Bariton sich ein - und wechselt dafür die Rolle: nicht mehr als Zänker tritt er auf, sondern als Gnaden-Verkünder in einer Meditation, nur von Harfenarpeggien impressionistisch untermalt. So gibt er freundlich, friedlich das Signal zum Neuanfang, zum Neuaufbruch, den der Chor, aufgeladen mit positiven Energien, im marschartigen Finalsatz vollzieht. Am Ende steht festlich strahlende Harmonie in reinem Dur, beharrend wiederholt, viele Male, unumstößlich. Aus Hoffnung wurde Heil - „durch Nacht zum Licht“: es ist die alte, die gute Geschichte.

 

2

 

Noch nicht lange ist es her, ein Jahrhundert erst, dass wir Europäer die Musik anderer Kontinente gebührend zur Kenntnis nehmen: als Kunst. Freilich holten wir erschöpfend das Versäumte nach: überall präsent ist heute die Musik Nordamerikas, die Popularmusik der USA dominiert weltweit, aber auch ihre Kunstmusik spielt munter mit im globalen Konzert. Indes tönt von südlicheren Gefilden nicht eben viel bis zu uns. Lateinamerikanische Komponisten - mit welchen verbinden wir eine Hör-Erinnerung? Welche können wir auch nur aufzählen, spontan aus dem Kopf?

    Zugegeben: die Tango-Welle der vergangenen Jahre versorgt uns nicht nur mit Klischees von schweißbeperlten Machos, die sich an spitzbrüstige Femmes fatales drängen; auch die Begegnung mit dem grandiosen Astor Piazzolla bescherte sie uns und die mit der unerwartet farbenreichen Klangwelt der Bandoneon-Kombos. Zugegeben: vom Brasilianer Heitor Villa-Lobos kennen wir die rhythmischen Schwelgereien seiner Bachianas Brasileiras, wohl auch sein Gitarrenkonzert - allerdings nehmen wir den weit avancierteren Hauptteil seines Riesenœuvres nicht wahr. Und immerhin: dass Alberto Ginastera, Argentinier wie Piazzolla, zu den Großen des 20. Jahrhunderts gehört, durfte das Hofer Konzertpublikum vor Jahresfrist ahnen, als ihm die Symphoniker mit seinem exquisiten Harfenkonzert kamen - wer aber, von unverbesserlichen Enthusiasten abgesehen, wollte sich brüsten, sich schon einmal seinen rauschhaften Balletten, den sperrigen Klavierkonzerten, seinen meisterlichen, aber vertrackten Streichquartetten konzentriert ausgesetzt zu haben?

    Erst recht ist uns Mexiko eine exotische Fremde: jenes Land, darin Sergio Cárdenas 1951 zur Welt kam. Selbst Eingeweihte assoziieren hier am ehesten zwei Namen: Auf Silvestre Revueltas mögen sie stoßen, der 1940 an einer Mischung aus Verzweiflung und Trunksucht verendete, erst 41 Jahre alt. Als kämpferischer Sozialist wie als Komponist war er ein Rebell; mit rhythmischer Vehemenz schüttelte er die akademischen Vorschriften ab, vollzog in seiner Tondichtung Sensemaya einen afrokubanischen Beschwörungsritus nach und beschwor in der Nacht der Mayas die präkolumbische Vergangenheit der Urbevölkerung. Mit dieser Richtung neuerer mexikanischer Musik hat Cárdenas‘ Schaffen allerdings nicht allzu viel zu tun.

    Auch Manuel Maria Ponce mag manchem Kenner in den Sinn kommen. Der, obwohl für die Volksmusik seines Landes sehr aufnahmebereit, durchlief doch eine gründliche europäische Schule (ließ sich vom Franzosen Paul Dukas unterrichten) und bevorzugte ein romantisch-impressionistisches, auch neoklassizistisches Idiom. Auf jenen 1882 geborenen, 1948 verstorbenen Tonsetzer bezieht sich Cárdenas in mehreren eigenen Produktionen ausdrücklich.

    So dürfen wir uns fragen: Kann uns jemand fremder sein als Sergio Cárdenas - ein zeitgenössischer Tonsetzer aus Mexiko?

    Er selbst vereinfacht uns die Sache. Denn er bleibt nicht im Lande: er kommt zu uns. (Vergessen wir nicht, dass er von 1985 bis 89 stabführend am Pult der Hofer Symphoniker stand.) Als komponierender wie als ausübender Musiker wechselt er weltbürgerlich zwischen Amerika, Europa, Deutschland: Cárdenas ist Internationalist. Seine künstlerische Heimat ist keine Nation, sondern die Musik des 20. Jahrhunderts. Freilich erfordert der Versuch, ihn hier zu platzieren, erst recht einige Umsicht.

    Das 19. Jahrhundert hatte seinen überspannenden Epochenstil mit der Romantik. Das 20. Jahrhundert hat solche ,Schule‘ nicht gemacht: in ihm reicht das kompositiorische Spektrum vom Festhalten an romantischen Traditionen über die Abschaffung der Tonalität bis hin zur Demontage des Klangmaterials überhaupt - bis hin zum Verstummen von Musik. Auch in Sergio Cárdenas‘ Schaffen spiegelt sich jene Aufsplitterung von Stil in viele Stile, die Abwechslung oder Vermischung heterogener Ausdrucksmittel, das Zusammentreffen von überkommenen mit neuen, experimentellen Modellen.

    Jenen Pluralismus veredeln wir gerne zu einer Epochenerscheinung: unterm Begriff der Postmoderne; und wir erkennen, dass in ihm die Gefahr oberflächlicher Beliebigkeit lauert. Mancher Kulturkritiker tut Postmodernes darum abschätzig als „Recycling“ ab. Andererseits dürfen wir durchaus neutral dazu stehen, wenn wir „Recycling“ wertfrei übersetzen: als Wiedergewinnung von Haltbarem aus einem Kreislauf heraus. Der Komponist Alfred Schnittke fand dafür einen von mehreren tauglichen Begriffen: „Polystilistik“ - die Vielfalt überlieferter und zeitgenössischer Schreibweisen in Gleichzeitigkeit. Cárdenas weiß diese Fülle fruchtbar zu machen: indem er in seinen Werken für historische Reibungen sorgt, sorgt er für aktuelle Spannungen zwischen Seelenzuständen.

    Damit widerspricht er jener allzu selbstherrlichen Fortschrittspartei unter den Kunstschaffenden, die sich mit ihren Produktionen dem breiten Publikumsgeschmack bewusst verweigern, weil sie ihn pauschal für flach, genusssüchtig, kommerzverseucht halten. Auf sie zielt das populäre Vorurteil, „moderne Kunst“ bleibe grundsätzlich schleierhaft und elitär. Ein Vorurteil ist dies, weil sich ja auch das Gegenteil ereignet: weltweit machen Rundfunk und CD Musik pausenlos für jedermann verfügbar - eine Entwicklung, die von der Musik eine neue Verständlichkeit verlangt. In deren Lager reiht Cárdenas sich ein.

    Ein ,moderner‘ Komponist ist er gleichwohl. Auch in seinen Werken ist das gestrige Grundgesetz der Dur-Moll-Tonalität vielfach aufgehoben. Die Dissonanz sehnt sich nicht länger nach Auflösung und hat sich auch in seinen Partituren vollständig emanzipiert. Die Partituren selbst verändern ihr Gesicht: die CD, zu deren Präsentation wir uns zusammengefunden haben, enthält mit den Zwei Pfingstmotetten (2) von 1975 Werke in grafischer Notation und mit aleatorischen, also Zufalls-bestimmten Elementen; ihre Aufführungen werden also von Mal zu Mal differieren.

    Doch kehrt der Komponist immer wieder zu ,romantischen‘ Vorstellungen von Konsonanz, Wohllaut und Harmonie zurück. Den Rück-Schritt zu einer „Neuen Einfachheit“ - im Sinne etwa Arvo Pärts oder Henryk Góreckis - vermeidet er freilich. Mit den Reihentechniken des Komponierhandwerks ist Cárdenas selbstredend vertraut, aber er unterwirft sich ihrer fantasiefeindlichen Mathematik nicht, sondern verwandelt sie seinem Ausdruckswillen an. Denn Cárdenas‘ Musik drückt aus: als rein formaler Verlauf genügt sie sich nicht, sondern gibt Auskunft, nimmt Stellung - sie erzählt uns Geschichten. So behauptet sie sich als ,anspruchsvolle‘ Musik: als eine, die sich kraft ihrer Substanzhaltigkeit die ungeschmälerte Anteilnahme der Sinne ausbedingt.

3

 

Ans Konzertsaal-Publikum wendet sich solche Musik in der Regel. Dennoch sieht Cárdenas, einem weiteren Zug der Zeit folgend, über die vermeintliche Kluft zwischen E- und U-Musik hinweg. In seine Werke integriert er Elemente mittelamerikanischer Folklore und ebenso ,nordamerikanische‘ Stilmittel der Improvisation, des Jazz und Rock. Mal taucht dergleichen in Klangcollagen als Zitat auf und steht dann für sich, mal bindet es sich bruchlos ins Ganze ein.

    Nicht einmal die Maulfertigkeiten des Rap enthält der Künstler uns vor. Stimmen von den hohen Bergen (3) seines mexikanischen Heimatdistrikts Tamaulipas ließ Cárdenas, als Dirigent eigener Werke, vor gut einem Jahr in der Hofer Freiheitshalle laut werden: Da tigerte André Wilkens durchs Publikum, übers Podium - der stadtbekannte Rapper mischte dem orchestralen Rhythmusgemenge seine perkussive Stimme bei, trieb mit seinem skandierenden Mund-Werk die Symphoniker an, entspannte sich mit ihnen in kurzen Generalpausen - und legte von Neuem los: ein planmäßiges Sich-Abreagieren in mehreren Anläufen. Biedert sich Musik hier wendig dem Zeitgeist an? Oder lässt sich’s nicht auch verstehen als radikale Neuerfindung der „Gesangsszene“ klassischer Provenienz?

    Sergio Cárdenas: in vielen Sätteln gerecht - kein wild gewordener Umstürzler. In der Vielgestalt und Vielteiligkeit seiner Musik drückt sich ein Wille zur Integration aus. Sie stellt Fragen an die Welt, aber sie will sie nicht zersetzen. Der Mensch findet in ihr zu sich, geht nicht fehl, kommt in ihr an ein Ziel. Einer Zeit, die uns so manchen Grund zur Beunruhigung gibt, hält Cárdenas einen Gegenentwurf der Sinnfindung vor, getragen von einem unüberhörbaren Grundton des Lebensgeistes und des Optimismus. Kein Werk könnte dies mit seinem Hergang ersichtlicher belegen als So I will hope, die unheilschwangere, Heil verkündende Jeremiade.

    Selbst die scheinbar abgetane Kategorie der Schönheit findet wieder zu ihrem Platz und Recht. Freilich hat die Vokabel, wie Cárdenas sie verwendet, mit gefälligem Schönklang und kulinarischer Genießbarkeit nichts zu tun. Vielmehr meint er mit ihr - eigenem Bekunden zufolge - die „Ehrlichkeit“ eines künstlerischen Anliegens und die freie Kraft, es auszudrücken. Das „richtige Gewicht“ gehört dazu, „das jeder Ton an seinem Ort und im Verhältnis mit den anderen Tönen“ gewinnt. Und der Künstler versichert uns: Wo Tonkunst beanspruchen darf, in diesem Sinn schön und aufrichtig zu sein, da entwickelt sie „gewaltige und unwidersetzliche Wirkungen“, heilsam und reinigend. „Es gibt nichts Besseres für den Menschen als Musik“, resümiert er sein Glaubensbekenntnis. „Man muss ihr nur eine Chance geben.“

    Sergio Cárdenas gibt ihr eine Chance; und gibt jenen eine, die seine Musik hören. Den Werken eignet eine eigenständige Tonsprache von gemäßigter Modernität sowohl wie der Zug geradliniger Nachvollziehbarkeit. So komplex diese Tonsprache auch formulieren mag - nicht als Konstruktion, sondern als Expression will sie erlebt werden. Seine Kunst ist poetische Ausdruckskunst, nicht offiziöse Affirmation, sondern persönliches Bekenntnis. Zu ihrem Anliegen tritt wiederholt der Impetus gläubiger Verkündigung - durchaus im spirituellen, wenn auch nicht so sehr im kirchlich-liturgischen Sinn.

    Nicht erst im Jeremia-Oratorium lässt sich dies beobachten, auch in der unorthodoxen, 15 Jahre älteren Fassung des 23. Psalms (4): „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln ...“, singt da der abenteuernde König David in einem getrosten Moment. Bei Cárdenas indes singt kein Mann, sondern eine Frau: Als „Zyklus vier religiöser Lieder für Sopran und Orchester“ führte er das Gebet aus. Der hohen Stimme gesellt er vielerorts hohe Streicher bei; und noch das voll besetzte Orchester führt er in weiten Teilen beinah kammermusikalisch. Verhaltenheit ist Ausgangspunkt im ersten „Lied“ wie auch im abschließenden vierten mit seinem weitläufigen Instrumental-Vorspiel. Nicht nur das gesungene Wort, auch das gesprochene macht Cárdenas zum Träger musikalischen Ausdrucks; nicht nur als gesungener Text, auch als textloser Ton ereignet sich Verkündigung. Feinnervig hat der damals 31-Jährige bereits dieses frühe Werk auf Klang und Farbe berechnet, subtil verdichten sich darin die Atmosphären.

    Auch dem Psalm fehlen Klangballungen und -eruptionen nicht; doch behauptet er sich auch in seinen heftigen Passagen als eine im Grundtenor lyrische Bekundung, während das eher episch zu verstehende So I will hope mit der Zielstrebigkeit seiner inneren, der Breite seiner äußeren Entwicklung auf ,Handlung‘ setzt. Dramatik entfalten beide Werke, jedes auf seine Art.

4

 

Der Psalm - eine geistliche Solokantate? Die Jeremiade - ein Oratorium? Wir sollten nicht übersehen, dass Cárdenas den Klage- und Hoffnungsgesang, mit Absicht lapidar und vage, einfach als „Musik“ untertitelte. Um Sakral- und Vokalsymphonik eines Typus handelt sich’s, der mit den Schablonen des 18., des 19. Jahrhunderts wenig mehr zu tun hat. Für die geistlichen Gesänge der Enturia-CD macht sich der Komponist Gestaltungsweisen der Motette, des Chorals, des Madrigals zwar zu Nutze, aber er bekräftigt sie nicht fraglos, sondern wandelt sie ab: macht sie sich zu Eigen. An der Idee des Werks als etwas Kompletten und Abgeschlossenen hält Cárdenas fest; doch so wie sich seit dem 20. Jahrhundert die Grenzen zwischen den Gattungen und Genres unkenntlich verwischen, so hält auch er selbst sie offen.

    „Musik“ also als umfassendste, sinnfälligste, unbestreitbarste Bezeichnung eines Tonkunstwerks: Bis zurück zu Béla Bartóks Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta oder zu den Musiken Rudi Stephans (für Geige, für Orchester) lässt das denken - warum nicht gleich zurückgehen bis zu Händels Wassermusik? Cárdenas bedient sich der bündigen Benennung noch einmal, für ein Werk, das mit der Jeremias-„Musik“ immerhin den Umstand gemein hat, dass ein Bariton darin als Gesangssolist figuriert und dass es das bekenntnishafte „Ich“ im Titel führt. Ich höre das Licht herzschlagen (5) ist der 1999 vollendete Zyklus überschrieben, der sieben Gedichte des mexikanischen Literaturnobelpreisträgers Octavio Paz in spröde Töne übersetzt; ein Liederkreis also - doch zugleich ein gestandenes Stück Kammermusik. Zwischen Textgebundenheit und absoluter Musik hält es sich schwebend auf - und gehört mit seiner geschärften, an Brüchen reichen, extreme Dissonanzen auskostenden Diktion gewiss zu den fortgeschrittensten Schöpfungen in Cárdenas‘ Werkverzeichnis.

    Vielfach selbstständig voneinander agieren die Gesangsstimme, dazu Klarinette, Viola, Kontrabass; vorübergehend vereinen sie sich, um alsbald wieder weit auseinander zu driften. In höchste Tenor-, in tiefe Bassregister muss der Solobariton sich wagen und zeitweilig gar in Knurren, Keuchen, Flüstern verfallen: dann wird er selbst zum ,Instrument‘ jenseits der Sprache. Verschlossen, düster-nebulös raunt Paz‘ Poesie - demgemäß gibt auch Cárdenas‘ Musik sich unwirklich und schwer durchschaubar. Auf alle vordergründige Gefällig- und Versöhnlichkeit verzichtet sie, besinnt sich - wie gerade für Kammermusik kennzeichnend - auf ihre Strukturen, zieht sich in die Reflexion zurück. Dabei fällt ihr manches ein, was einem nur beiläufig Hörenden unbequem klingen mag.

    Und doch scheut sie sich nicht, zu illustrieren: hintergründig lässt sie die titelgebenden Herzschläge pulsen, und später seufzen Atemzüge, beklemmend schwer. Einmal parodiert die Musik einen Walzer, ein andermal - am Ende - zerfällt sie in brüchige, fahle Licht- und Schattensplitter. Einmal reduziert sich der vokal-instrumentale Dialog auf eine Gesangslinie, angestupst von Bratschen-Pizzicati; dann wieder insistiert der Bariton mit einem eckig rhythmisierten, synkopierten Sprechgesang nach Art der Rap-Musik - eine Stilanleihe, wie sie uns schon durch die Stimmen von den hohen Bergen vertraut ist.

    Lieder, Texte, Poesie: Abermals geht es Cárdenas, wie so oft, um unmittelbaren Ausdruck, um Botschaft. Abermals erzählt Cárdenas eine seiner Geschichten - eine überraschend finstere diesmal -, aber er legt sich nicht darauf fest, dass dies in jedem Fall ohne Umschweife, unzweideutig geschehen müsse. Alles Plauderhafte, redundant Daherfabulierte steht ihm fern. In seinen Paz-Vertonungen (die Enturia-CD enthält übrigens eine weitere) erstattet er dem Hörer Berichte, deren Inhalt und Sinn im Verborgenen blühen, im Dunkeln bleiben. Den „Nebel“, von dem unter anderem gesungen wird, lichtet er nie ganz. Und doch gibt auch diese Musik, bei aller Sprödigkeit, ihr Wichtigstes im Kern nicht auf: Anschaulichkeit, Bildkraft.

5

 

Vielfach ans Wort bindet Cárdenas seine Tonkunst. Was Wunder, dass auch die ,absolute Musik‘ seiner Instrumentalwerke sich nicht zur ,abstrakten‘ Musik verfremdet. Gleichsam gegenständlich bleibt sie, handelnd, erzählend, Klangrede.

    Nicht zuletzt von Cárdenas‘ lateinamerikanischer Herkunft erzählt sie - auch hierin einem ausgeprägten Zug der Musik im 20. Jahrhundert folgend: Gerade in ihr fand ja authentische Folklore, Volkskunst der gewachsenen, nicht gekünstelten Art, so bindend wie nie zuvor Eingang in die Kunstmusik. Beispielhaft dafür stehen etwa, auf der neuen CD, die Eingangs-„Melodie“ Aleluya, Alelú (6) - oder auch zwei kleinere, aber effektsichere Orchester-Piècen. Einmal die Grüsse aus Tamaulipas (7) von 1987 - eine akustische Ansichtskarte jenes heimatlichen Bezirks, von dessen „hohen Bergen“ uns die schon skizzierte Rap-Komposition stimmstark berichtete. Erst die große Trommel, dann die kleine, dann schnarrende Flöten und Klarinetten führen uns einen Spielmannszug vor, alsbald schlägt die Stimmung ins Saftig-Süßliche um, und die Streicher und das Blech intonieren einen Walzer ... Als dekorative Orchester-Etüde gebärdet sich El Queretano (8), wieder ein Tanz, ein so genannter Huapango nun, brillant instrumentiert.

    Lebendig lärmende Themen und Motive Anderer verwendet Cárdenas hier (der Herren Guillén und Bermejo nämlich) - wie er überhaupt aus seiner Verehrung komponierender Kollegen kein Hehl macht. So liegt der gefühlvollen Streicherfantasie Die Seele verwelkt (9) von 1991 ein Thema Antonio Zuñigas zu Grunde. Namentlich aber der erwähnte Manuel Maria Ponce, als einer der bedeutendsten Tonsetzer seines Landes, tritt uns in Cárdenas‘ Schaffen entgegen: so in einer kleinen Tetralogie von Streicherminiaturen aus den Neunzigern, unter denen sich ein leichtherziges Mexikanisches Scherzino (10) findet und auch, als lustvoll melancholisches Gegenstück, ein Cello-,Lied ohne Worte‘ unterm entsagenden Albumblatt-Titel Trotz alledem (11)- allesamt feinsinnige Plaudereien im Ton des eleganten Salons.

    „Bagatellen“ darf man dergleichen nennen - eine Bezeichnung, die in der klassisch-romantischen Musik bekanntlich Tradition hat und nichts Abwertendes besagt. Von solchen durch und durch romantisch-tonalen Produktionen fürs easy listening-Regal ausgehend, können wir in ein belangvolleres Spannungsfeld überwechseln: dorthin, wo vielsagend, gleichwohl im Ausdruck fasslich, mit Modernismen maßhaltend komponiert wird, ähnlich wie es Dmitri Schostakowitsch tat, um nur irgendeinen Großen zu nennen.

    Zu jener hintergründigen Suite des Jahres 1998 führt der Weg, die unterm rätselhaften Titel Scheuerloser Stoff firmiert und deren Satzüberschriften, hintereinanderweg gelesen, beinah wie das Fragment aus einem kryptischen Gedicht von Octavio Paz anmuten: Blauer Rauch im Halbdunkel (12), Legende des Vollmonds (13), Ländliche Vitalität (14). Nachtstücke sind alle drei: gedämpft im Rhythmus, schonungsvoll in den Energien, schattig und vielfach abschattiert in den Farben, unterbrochen von Momenten des Innehaltens und Sich-Besinnens, des Suchens vielleicht. Solo-Violine, später Solo-Viola wagen sich hervor, ohne den eng geschlossenen Klangrahmen des Streicherensembles je ganz zu verlassen. Was sich hier an Emotionen an- und entspannt und in zeitweilige Bangigkeit sich versteigt, hat nichts Konventionelles und Plakatives mehr, sondern findet zu eigener, glaubhafter Intensität - und übrigens nicht zwingend zur Erlösung im Happy End.

    Imponierende Stimmungskunst: Sergio Cárdenas entfaltet sie hier mit vergleichsweise bescheidenem, souverän beherrschtem Material. Vor allem durch kunstreiche Steigerungen, unheimliches In-der-Schwebe-Halten tut er’s. Phasenweise - und ganz ausgesprochen im Mittelstück - erinnert sie an den Deutsch-Amerikaner Claus Ogermann und seine ,postmodern‘ lyrische Neusuche nach Schönheit in Unschuld. Um Bagatellen, gepflegte musikalische Kleinigkeiten, handelt es sich keinesfalls.

    Auch nicht bei der einsätzigen Fantasie Der geflügelte Bote (15)für Flöte und Streicher von 1997. Aber doch hat ihr Schöpfer gerade sie als „Bagatela“ bezeichnet. Um was für einen Boten handelt es sich wohl? Um einen Falter oder Vogel? Oder doch um einen Gottes- und Himmels-Kurier, Seraph oder Cherubim? Jedenfalls hat er es eilig: geschwind getragen wie vom Schwung des Windes formuliert die Flöte die Botschaft ätherisch, duftig, flüchtig, trotzdem voller Wert und Wichtigkeit, mit Ernst, aber kameradschaftlich. In einer schwebend-ausufernden Kadenz lässt sie ihre Streicherbegleiter hinter sich, verlangsamt sich, dehnt ihren Tonraum aus, verbreitet ihre Stimme als Atem von großer Tragweite.

    Scheuerloser Stoff, Der geflügelte Bote - nicht zufällig gab Cárdenas Werken wie diesen derart sprechende Titel. Mit Wörtern etikettierte er sie, die durch ihre Kombination eine Frage zu stellen scheinen und als Antwort vom Hörer die Bereitschaft zum Denk-Spiel begehren; oder die in ihm bildhafte, bewegte Vorstellungen evozieren. Nahe zur Programmmusik stellt sich solche ,absolute Musik‘ vorsätzlich und steht also dazu, dass auch sie einen Stoff, eine Handlung, womöglich gar eine Botschaft hat, einen Appell in sich einschließt - auch dann, wenn sie ihn nicht mit der Autorität eines König David, dem Nachdruck eines Jeremia an uns richtet.

    Hören wir also Sergio Cárdenas und seiner Musik zu: lassen wir uns eine Geschichte erzählen. Nicht jeder Prophet kündet Unheil, und unter den Boten sind manche so freundlich wie Engel.

 



* Michael Thumser ist Kulturredakteur der Zeitung „Frankenpost“, Hof/Saale. 30/06/2001ç


Links zu den erwähnten Werken:


1.- SO I WILL HOPE:  https://www.youtube.com/watch?v=8OnFErX47CI&t=98s  


2.- DOS MOTETES PARA LA FIESTA DE PENTECOSTÉS:  

       I) Gloria a Dios en las alturas https://www.youtube.com/watch?v=FwkysfpxacU 

       II) Y en la tierra, paz :   https://www.youtube.com/watch?v=0xGj_rm9L-s&t=29

 


3.- VOCES DE LOS MONTES ALTOS: 

       I). https://www.youtube.com/watch?v=UTQrqPx5fHc


       II) https://www.youtube.com/watch?v=WsdAm6Fnz2g 


4.- SALMO XXIII :  https://www.youtube.com/watch?v=m0_l1_feg_I 


5.- OIGO LATIR LA LUZ :  https://www.youtube.com/watch?v=C-3QvWVTxxQ&t=8s  


6.- ALELUYA, ALELÚ: https://www.youtube.com/watch?v=RRy6pQZj_ho&t=30s  


7.-  SALUDO TAMAULIPECO:  https://www.youtube.com/watch?v=ge-e7xCQfdA&t=41s  


8.- EL QUERETANO:  https://www.youtube.com/watch?v=k81mb81nZwM&t=6s  


9.- MARCHITA EL ALMA : https://www.youtube.com/watch?v=fWfgkJGLPPE&t=8s  


10.- SCHERZINO MEXICANO:  https://www.youtube.com/watch?v=iaNa0INdWtY  (incluye GAVOTA)


11.- MALGRÉ TOUT: https://www.youtube.com/watch?v=0BJCmqn4qow  


12.- HUMO AZUL EN LA PENUMBRA:  https://www.youtube.com/watch?v=Q2p5WaQb8Ao&t=4s  


13.- LEYENDA DE LA LUNA LLENA:  https://www.youtube.com/watch?v=U49vhpEmqmY&t=30s  


14.- VITALIDAD RANCHERA: https://www.youtube.com/watch?v=AiJ-JBTA2n8  


15.- MENSAJERO ALADO: https://www.youtube.com/watch?v=B-ExzSo7fGQ&t=133s  





viernes, 12 de marzo de 2021

Confessions and Bagatelles. On the Music by Mexican Composer Sergio Cárdenas.

 

Confessions and Bagatelles

On the Music by Mexican Composer Sergio Cárdenas


by Michael THUMSER*



1

     Let's tell a story,


    Ladies and Gentlemen,


    and let's face it, it's a bad story. It takes place in a convulsed country, torn socially by partisan bickering, paralyzed by delayed reforms, numbed by the appeasement slogans of the authorities, and wandering mentally and spiritually down many wrong paths. The story is about a dissident who not only has sufficient civil courage, but feels compelled to speak out against the ruling classes and the prevailing spirit of the times. Warm, eloquent, he observes five heads of government and their governmental crises; and in the end he sees his country, which follows an unwise policy of alliances, surrounded by enemies. The rebel is not afraid to paint the devil on the wall: he demands the most resolute peace policy, appeasement, demilitarization, even surrender without a fight; there is no other way to defend against the total loss of national identity. He was arrested as a substitute for military service and imprisoned in degrading conditions. But his predictions are frighteningly correct. The country was invaded, the capital besieged and captured, the population mistreated or killed, dispersed and kidnapped. In exile, the Resistance writer records the memorable events of his life and dies, far from the homeland that no longer exists.


    The story seems like something from the twentieth century. And yet it happened, in this or a similar way, more than 2,600 years ago. The Bible tells us about it: its protagonist is called Jeremiah, the messenger of misfortune is one of the "Great Prophets". A desperate prophet whom the course of history confirmed in all his cries of Cassandra.


    Music also tells this story; Sergio Cárdenas, to whom we dedicate ourselves on this occasion, tells it to us. And paradoxically, almost provocatively, the title of his score seems to go against the sermons of the biblical doomsayer: So I will Hope (1).  In his half-hour oratorio for solo baritone, choir and orchestra - which the Hof Symphony Orchestra premiered here (in Hof), in 1999, he combines six fragments from the "Lamentations of Jeremiah"; although they do not come from the prophet himself, they came into the Old Testament under his name with good reason.


    In fact, they report, entirely in their spirit, God's judgment on an ungodly people: the destruction of Jerusalem, the ruin of the state of Judah, the Babylonian captivity under Nebuchadnezzar. Cárdenas deliberately stages the incongruity between the character of Jeremiah and the message promised by the very title of his work: hope; a sign also for our apparently hopeless times. The message, drawn from disaster, is a message of salvation.


    At the same time, the composer tells the terrible story in its entirety: insofar as he does not spare the listener despair. Even more: he takes him into its deepest abyss. His oratorio begins, so to speak, with a composed nothingness: a painfully high violin tone, percussive accents isolated from other instruments; pale gloom: sonorous symbol of devastated, "widowed", orphaned Jerusalem. The haughty and proud princess of yesteryear crouches helplessly in sackcloth and ashes. Cárdenas has translated this situation, a motionless event, into atmosphere: it is the consummation of a fatality, which relies on simple means.


    The choir begins in silence, lamenting, as if paralyzed at first, and then becomes emotional. The orchestra temporarily yields to the inner pressure that bursts forth, and then joins in the wailing of the vocalists, also with a cantilena from the solo tuba. In the second section, Jerusalem's neighbors take the floor with contempt: they are quick to speak of the shattered. The percussion joins in, the choir claps and whistles - as the text intends - and the baritone soloist wallows in a jazzy chant of rabid topicality.


    Such ruthless cynicism is then contradicted by a call for appeased piety unto death; Cárdenas, building from the low strings to the high, weaves his setting into a fugue counterpoint of baroque density. The chorus cries out a lament, but immediately afterward, in an abrupt but wonderfully coherent transition, late-Romantic orchestral chords signal a consoling softness: they announce a future consolation while the chorus continues to sing tears and sadness. Once again, the baritone intervenes, and changes his role: he no longer appears as a brawler, but as a herald of grace in a meditation, accompanied only by harp arpeggios.  Thus, in a friendly and peaceful way, he gives the signal for a new beginning, a new start, which the choir, charged with positive energies, culminates in the final movement, which is like a march. In the end there is a festive, radiant harmony in pure C-major, which is repeated insistently, many times, irrefutably. Hope turned to salvation - "from night to light": it's the old, good story.


2


   It is not so long ago, barely a century, that we Europeans took due note of the music of other continents: as art. Today, American music is everywhere; U.S. popular music dominates worldwide, but its art music also plays an active role in the world concert. However, it is not heard much from the southern climes. Latin American composers: with which ones do we associate an aural memory? Which ones can we list from memory?


    Let's face it: the tango wave of recent years not only provides us with clichés of sweaty machos confronting pointy-chested femme fatales; it also brought us the encounter with the great Astor Piazzolla and the unexpected sound world of bandoneon combos. It is true that we know the rhythmic indulgences of the Bachianas Brasileiras of the Brazilian Heitor Villa-Lobos, and probably also his guitar concerto, but we do not perceive the main part, much more advanced, of his gigantic work. And yet: that Alberto Ginastera, Argentinian like Piazzolla, belongs among the greats of the 20th century, the Hof concert audience was allowed to suspect a year ago, when the Symphony approached him with his exquisite Harp Concerto - but who, apart from incorrigible enthusiasts, would want to presume to have ever concentrated on his intoxicating ballets, on the incomprehensible piano concertos, on his masterly but intricate string quartets?


 Mexico is even more of an exotic unknown to us: the country where Sergio Cárdenas was born in 1951. Even the initiated are the ones who most associate two names with it: they may come across Silvestre Revueltas, who died in 1940 of a mixture of despair and drunkenness, at only 41 years old. A militant socialist as well as a composer, he was a rebel; he shook off academic norms with rhythmic vehemence, recreated an Afro-Cuban invocation rite in his tone poem Sensemayá and evoked the pre-Columbian past of the indigenous people in La noche de los mayas. Cárdenas' work, however, does not have much to do with this direction in recent Mexican music.


    Manuel María Ponce may also come to mind for some connoisseurs. Although he was very receptive to the folk music of his country, Ponce went through a thorough European school (he was taught by the Frenchman Paul Dukas) and preferred a romantic-impressionist, even neoclassical idiom. Cárdenas explicitly refers to this composer, born in 1882 and died in 1948, in several of his productions.


    So we can ask ourselves: can there be anyone more alien to us than Sergio Cárdenas, a contemporary composer from Mexico?


    He himself simplifies things for us. Because he doesn't stay in the field: he comes to us. (Let's not forget that he was chief conductor of the Hof Symphony Orchestra from 1985-89). As both composer and performer, he alternates between America, Europe and Germany in a cosmopolitan way: Cardenas is an internationalist. His artistic home is not a nation, but the music of the 20th century. Admittedly, the attempt to situate him here requires some circumspection.


    The 19th century had its most important epochal style with Romanticism. The 20th century has not made such a "school": in it, the compositional spectrum oscillates between adherence to Romantic traditions, the abolition of tonality and the total dismantling of sound material, to the silencing of music. The work of Sergio Cárdenas also reflects this unfolding in many styles, the alternation or mixture of heterogeneous means of expression, the encounter between traditional and new, experimental models.


    We like to ennoble this pluralism in an epochal phenomenon: under the term postmodernism; and we recognize that it hides the danger of superficial arbitrariness. This is why some cultural critics label postmodernism as "recycling". On the other hand, we can be quite neutral about it if we translate "recycling" in a value-free way: as the recovery of something lasting from a cycle. The composer Alfred Schnittke found one of several suitable terms for it: "Polystilism": the diversity of traditional and contemporary modes of writing in simultaneity. Cárdenas knows how to make this abundance fruitful: by providing historical friction in his works, he ensures current tensions between moods.


  In this way, he contradicts the overly smug progressive party among artists who consciously refuse to accept the broad public taste with their productions, because they consider it flat, addicted to pleasure, contaminated by commerce. They are the target of the popular prejudice that "modern art" remains fundamentally obscure and elitist. This is a prejudice, because the opposite is also true: all over the world, radio and CD make music available to everyone without interruption, a development that demands a new intelligibility of music. Cárdenas is in this field.


    However, he is a "modern" composer. In his works, too, yesterday's basic law of major-minor tonality is often suspended. Dissonance no longer craves resolution and has been completely emancipated in his scores as well. The scores themselves change their face: the CD we have put together to present contains, with the Two Motets for the Feast of Pentecost (2), from 1975, works in graphic notation and with aleatoric elements, that is, random; their interpretations will therefore be different at every moment.


    But the composer always returns to the "romantic" ideas of consonance, melody and harmony. He avoids the step backwards towards a "new simplicity", in the sense of Arvo Pärt or Henryk Górecki, for example. Of course, Cárdenas knows the serial techniques of the composer's craft, but he does not submit to their mathematics, hostile to fantasy, but transforms them to his will to express. Because Cárdenas' music expresses: as a purely formal progression it is not enough, it provides information, it takes a position, it tells us stories. In this way, it asserts itself as a "demanding" music: as a music that, by virtue of its substance, demands the unlimited participation of the senses.


3



   As a rule, this type of music is aimed at a concert hall audience. However, Cárdenas, following another trend of the time, overlooks the supposed gap between serious and popular music. In his works he integrates elements of Central American folklore and also "North American" stylistic devices of improvisation, jazz and rock. Sometimes these elements appear in the sound collages as quotations and stand on their own, sometimes they are perfectly integrated into the whole.



 The artist does not even hide his rap skills from us.  "Voces de los Montes Altos" (3), from his Mexican home state of Tamaulipas, allowed Cárdenas, as the conductor of his own works, to make himself heard in the Freiheitshalle, Hof, a good year ago: André Wilkens strolled through the audience, crossed the podium - the city-famous rapper added his percussive voice to the multitude of orchestral rhythms, propelled the symphonic musicians with his sung mouth work, relaxed with them in brief general pauses - and set off again: a programmed self-abnegation in several attempts. Does the music here adapt with agility to the spirit of the times? Or can it not also be understood as a radical reinvention of the "singing scene" of classical provenance?


    Sergio Cárdenas: right in many mounts - no subversive gone mad. The multiformity and multiplicity of his music expresses a will of integration. It poses questions to the world, but does not want to disintegrate it. Man finds himself in it, he does not go astray, he reaches a goal in it. In an era that gives us many reasons to worry, Cárdenas presents a counter-project in search of meaning, carried by an unmistakable tonic of spirit of life and optimism. No work could demonstrate this more clearly than "So I will Hope," the ominous jeremiadic lamentation proclaiming salvation.


    Even the seemingly discarded category of beauty finds its place and its rightfulness again. It is true that the vocabulary, as Cárdenas uses it, has nothing to do with pleasing beauty and culinary enjoyment. Rather, it refers -as he admits- to the "honesty" of an artistic restlessness and the free faculty to express it. It corresponds to the "right weight", "that each tone gains in its place and in relation to the other tones". And the artist assures that where sound art can pretend to be beautiful and sincere in this sense, it develops "powerful and irresistible effects", healing and purifying. "There is nothing better for man than music," he sums up his credo. "You just have to give it a chance."


   Sergio Cárdenas gives it a chance; and he gives it to those who listen to his music. The works have an independent tonal language of moderate modernity, as well as the trait of direct comprehensibility. However complex this tonal language may be, it does not want to be experienced as a construction, but as an expression. His art is an expressive poetic art, not an official affirmation, but a personal confession. The impulse of faithful proclamation repeatedly enters into his preoccupation - certainly in the spiritual sense, if not so much in the ecclesiastical-liturgical one.


   This can be seen not only in the Jeremiah oratorio, but also in the unorthodox and 15 years older version of Psalm 23 (4): "The Lord is my shepherd, I shall not want...", sings the adventurous King David in a moment of comfort. With Cárdenas, however, it is not a man but a woman who sings: he realized the prayer as a "cycle of four religious songs for soprano and orchestra." In many places she adds high strings to the high voice; and even the full orchestra is conducted in large parts almost like chamber music. Behavior is the starting point in the first "Lied," as well as in the fourth finale, with its extended instrumental prelude. Cárdenas makes not only the sung word, but also the spoken word, the vehicle of musical expression; proclamation occurs not only as sung text, but also as textless sound. The 31-year-old has already calculated the sound and color of this first work with great sensitivity; the atmospheres are subtly condensed in it.


    Nor is the Psalm without explosions and eruptions of sound; yet even in its violent passages it asserts itself as a lyrical statement in its basic tenor, while the more epic So I will hope, with its unique inner development and the breadth of its outer development, focuses on "action." Drama unfolds in both works, each in its own way.


4


The Psalm: a solo spiritual cantata? Jeremiah's Lamentations, an oratorio? We should not overlook the fact that Cardenas subtitled the deliberately terse and vague song of lament and hope simply as "music." It is sacred and vocal symphonic music of a type that has little to do with the templates of the 18th and 19th centuries. For the sacred chants of the CD Enturia, the composer uses the forms of the motet, the chorale, the madrigal, but he does not simply reaffirm them, he transforms them: he makes them his own. Cárdenas clings to the idea of the work as something complete and self-contained; but just as the boundaries between genres and genres have blurred beyond recognition since the twentieth century, he himself keeps them open.


    "Music," then, as the most complete, most meaningful, most indisputable designation of a work of musical art: it makes one think all the way back to Béla Bartók's music for stringed instruments, percussion and celesta, or Rudi Stephan's music (for violin, for orchestra) - why not go all the way to Handel's Water Music? Cárdenas again uses the terse name, for a work that at least has in common with Jeremiah's "music" the fact that it features a baritone as vocal soloist and carries the confessional "I" in its title. Oigo latir la luz (5) is the title of the cycle completed in 1999, which translates seven poems by Mexican Nobel Laureate Octavio Paz into brittle tones; a song cycle, in other words - but at the same time a piece of established chamber music. It is situated between textuality and absolute music, and with its sharp diction, rich in ruptures and savoring extreme dissonances, it is undoubtedly one of the most advanced creations in Cárdenas' catalog of works.


  The vocal part, clarinet, viola and double bass act independently in many cases; temporarily they join together, only to drift apart again shortly afterwards. The baritone soloist has to venture into the higher registers of tenor and bass, and sometimes even fall into grunts, gasps, whispers: then he himself becomes an "instrument" beyond language. Paz's poetry murmurs in a closed, mournful and nebulous way; consequently, Cárdenas's music is also unreal and difficult to understand. He renounces everything superficially pleasant and conciliatory, he reflects - as is characteristic of chamber music - on its structures, he withdraws into reflection. In doing so, many things occur to him that might sound uncomfortable to a casual listener.


    And yet he is not afraid to illustrate: enigmatically, he lets the titular heartbeat pulse, and the subsequent breaths sigh, oppressively heavy. At one moment the music parodies a waltz, at another - at the end - it disintegrates into fragile, pale slivers of light and shadow. At one point, the vocal-instrumental dialogue is reduced to a vocal line, driven by the viola's pizzicati; then the baritone insists with a syncopated, angularly rhythmic chant in the manner of rap music, a stylistic borrowing we already know from Voces de los Montes Altos.


    Songs, lyrics, poetry: once again, as so often, Cárdenas is concerned with direct expression, with the message. Once again, Cárdenas tells one of his stories - this time surprisingly dark - but he does not commit himself to the idea that this must always be done directly and unambiguously. Anything chatty and redundantly fabricated is far from him. In his settings of Paz (the Enturia CD contains another, by the way), he gives the listener reports whose content and meaning bloom in obscurity, remain in obscurity. He never quite clarifies the "fog" of which, among other things, he sings. And yet this music, despite its fragility, does not renounce its most important essence: vivacity, pictorial power.


5


 

   Cárdenas often links his musical art to the word. It is not surprising that the "absolute music" of his instrumental works does not stray far from "abstract" music. It remains, so to speak, representational, acting, narrating, with a sonorous discourse.


    Not for nothing does it speak of Cárdenas' Latin American origins - in this, too, following a distinctive feature of music in the 20th century: it was precisely in this that authentic folklore, folk art of the grown-up, unaffected kind, found its way into art music as never before. Examples of this are, on the new CD, the opening "melody" Aleluya, Alelú (6) - or two smaller, but effective orchestral pieces. One of them is 1987's Saludo Tamaulipeco (7) - an acoustic postcard of that native district, whose "high mountains" are the subject of the rap composition already sketched. First the bass drum, then the Indian drum, then the drone of flutes and clarinets introduce us to a brass band, soon the mood changes to juicy-sweet, and strings and brass intone a waltz.... El Queretano (8) another dance, a so-called huapango, brilliantly orchestrated, behaves like a decorative orchestral étude. Lively, noisy themes and foreign motifs are used here by Cárdenas (specifically by Guillén and Bermejo), just as he makes no secret of his admiration for fellow composers. 


     Thus, the emotional string fantasy Marchita el alma (9), from 1991, is based on a theme by Antonio Zúñiga. But, in particular, the aforementioned Manuel María Ponce, one of his country's most important composers, appears in Cárdenas' work: for example, in a small tetralogy of miniatures for strings from the 1990s, among which is a lighthearted Mexican Scherzino (10) and also, as a playfully melancholic counterpart, a "song without words" for cello under the renounced album title "Malgré tout" (11 ), all subtle chats in the tone of the elegant salon.


    "Bagatelles" these things may be called - a designation which, as is well known, has tradition in classical-romantic music and implies nothing pejorative. Departing from those thoroughly romantic-tonal productions for the easy-listening shelf, we can move to a more significant field of tension: to a place where the composition makes sense, while being comprehensible in expression, with modernisms kept at bay, similar to what Dmitri Shostakovich did, to name just one of the greats.


    The path leads to that enigmatic suite from 1998, which bears the enigmatic title of "Material no Abrasivo" and whose movement titles, read one after the other, seem almost like a fragment of a cryptic poem by Octavio Paz: Humo azul en la penumbra (12), Leyenda de la luna llena (13), Vitalidad ranchera (14). All three are nocturnal pieces: of subdued rhythm, sparing in energy, of somber and often nuanced colors, interrupted by moments of pause and reflection, of search perhaps. The solo violin, and later the solo viola, venture without ever completely abandoning the tightly enclosed sound frame of the string ensemble. The emotions that build up and relax here and sink into temporary anguish no longer have anything conventional or pleasurable about them, but find their own credible intensity, and certainly not necessarily redemption in the happy ending.


    An impressive atmospheric artistry: Sergio Cárdenas deploys it here with comparatively modest and superbly mastered material. Above all, he does so through ingenious climaxes, a strange restraint in time. At times - and especially in the central piece - it is reminiscent of the German-American Claus Ogermann and his "postmodern" lyrical search for beauty in innocence. These are by no means trifles, cultivated musical trifles.


Not even in the one-movement fantasy Mensajero Alado (Winged Messenger) (15), for flute and strings from 1997, but its creator called it a "trifle." What kind of messenger is it, I wonder - a butterfly or a bird? Or is it a messenger from God and heaven, a seraph or a cherub? In any case, he is in a hurry: carried swiftly as if by the impulse of the wind, the flute formulates the message ethereally, vaporous, fleeting, yet full of courage and importance, earnest yet companionable. In a far-reaching cadenza, it leaves its stringed accompanists behind, slowing down, widening its tonal space, extending its voice like a breath of great importance.


    Material no Abrasivo,  Mensajero Alado... it is no accident that Cárdenas gave works like these such evocative titles. He labeled them with words that, by their combination, seem to pose a question and, as an answer, demand from the listener the will to play a mental game; or that evoke in him pictorial and moving ideas. Close to program music, this "absolute music" is intentionally situated and thus sustained by the fact that it too has a material, a plot, possibly even a message, an appeal within itself, even if it does not address it to us with the authority of a King David, the emphasis of a Jeremiah.


    So let's listen to Sergio Cárdenas and his music: let's listen to a story. Not all prophets announce disaster, and among the messengers some are as kind as angels.


*Michael Thumser is cultural editor of the newspaper "Frankenpost", Hof/Germany. 30/06/2001


Links to the Works referred to:


1.- SO I WILL HOPE: 

 https://www.youtube.com/watch?v=8OnFErX47CI&t=98s  


2.- DOS MOTETES PARA LA FIESTA DE PENTECOSTÉS:  

       I) Gloria a Dios en las alturas

           https://www.youtube.com/watch?v=FwkysfpxacU 

       II) Y en la tierra, paz : 

          https://www.youtube.com/watch?v=0xGj_rm9L-s&t=29

 


3.- VOCES DE LOS MONTES ALTOS: 

       I). https://www.youtube.com/watch?v=UTQrqPx5fHc


       II) https://www.youtube.com/watch?v=WsdAm6Fnz2g 


4.- SALMO XXIII :  https://www.youtube.com/watch?v=m0_l1_feg_I 


5.- OIGO LATIR LA LUZ :  https://www.youtube.com/watch?v=C-3QvWVTxxQ&t=8s  


6.- ALELUYA, ALELÚ: https://www.youtube.com/watch?v=RRy6pQZj_ho&t=30s  


7.-  SALUDO TAMAULIPECO:  https://www.youtube.com/watch?v=ge-e7xCQfdA&t=41s  


8.- EL QUERETANO:  https://www.youtube.com/watch?v=k81mb81nZwM&t=6s  


9.- MARCHITA EL ALMA : https://www.youtube.com/watch?v=fWfgkJGLPPE&t=8s  


10.- SCHERZINO MEXICANO: 

 https://www.youtube.com/watch?v=iaNa0INdWtY  (incluye GAVOTA)


11.- MALGRÉ TOUT: https://www.youtube.com/watch?v=0BJCmqn4qow  



MATERIAL NO ABRASIVO:

12.- HUMO AZUL EN LA PENUMBRA:

  https://www.youtube.com/watch?v=Q2p5WaQb8Ao&t=4s  


13.- LEYENDA DE LA LUNA LLENA: 

 https://www.youtube.com/watch?v=U49vhpEmqmY&t=30s  


14.- VITALIDAD RANCHERA:

 https://www.youtube.com/watch?v=AiJ-JBTA2n8  


15.- MENSAJERO ALADO:

 https://www.youtube.com/watch?v=B-ExzSo7fGQ&t=133s