Comparto el texto que escribí por encargo de la Sinfónica de Hof, texto que fue incluido en el programa de mano del concierto en el que se estrenó mundialmente esta Música para barítono, coro mixto y orquesta, "So I will hope":
Bekenntnisse und Bagatellen
Über die Musik des Mexikaners Sergio
Cárdenas
1
Lassen wir uns eine
Geschichte erzählen,
meine
Damen und Herren,
und lassen
wir zu, dass es eine schlimme Geschichte ist. Sie spielt in einem Land im
Umbruch, gesellschaftlich durch Parteiengezänk zerrissen, gelähmt von
Reformstau, betäubt von Beschwichtigungsparolen der Obrigkeit, geistig und
geistlich auf mancherlei Holzwegen irrend. Von einem Dissidenten handelt die
Geschichte, der nicht nur genug Zivilcourage hat, sondern auch den Zwang spürt,
den Mund aufzumachen gegen die herrschenden Schichten und den herrschenden
Zeitgeist. Hitzköpfig, wortgewaltig sieht er fünf Regierungschefs und ihren
Regierungskrisen zu; und sieht endlich sein Land, das eine unkluge
Bündnispolitik betreibt, von Feinden umschlossen. Der Rebell scheut sich nicht,
den Teufel an die Wand zu malen: die entschiedenste Friedenspolitik fordert er,
Appeasement, Demilitarisierung, kampflose Übergabe gar; anders sei dem
Totalverlust der nationalen Identität nicht zu wehren. Als Wehrkraftzersetzer
wird er festgenommen und unter entwürdigenden Bedingungen inhaftiert. Doch aufs
Furchtbarste behält er Recht mit seinen Prognosen. Das Land wird überrannt, die
Hauptstadt belagert und eingenommen, die Bevölkerung misshandelt oder getötet,
zerstreut und verschleppt. Der Widerständler zeichnet im Exil die
Denkwürdigkeiten seines Lebensweges auf und stirbt, fern der Heimat, die es
nicht mehr gibt.
Wie aus dem
20. Jahrhundert klingt die Geschichte. Und doch trug sie sich, so oder ähnlich,
vor über 2600 Jahren zu. Die Bibel erzählt sie uns: ihr Protagonist heißt
Jeremia - der Unglücksbote ist einer der „Großen Propheten“. Ein hoffnungsloser
Prophet, den der Lauf der Geschichte in all seinen Kassandra-Rufen bestätigte.
Auch Musik
erzählt diese Geschichte; Sergio Cárdenas, dem wir den heutigen Abend widmen,
erzählt sie uns. Und paradoxerweise, provozierend beinah steht über seiner
Partitur ein Titel, der den Predigten des biblischen Schwarzsehers
zuwiderzulaufen scheint: So I will hope. In seinem halbstündigen Oratorium für Solobariton, Chor und
Orchester - das die Symphoniker 1999 hier in Hof uraufführten - verbindet
er sechs Auszüge aus den „Klageliedern Jeremias“; die stammen zwar nicht vom
Propheten selbst, fanden aber mit gutem Grund unter seinem Namen Eingang ins
Alte Testament.
Tatsächlich
berichten sie ganz in seinem Geist von Gottes Strafgericht über ein gottloses
Volk: von der Zerstörung Jerusalems, dem Ruin des Staates Juda, der
Babylonischen Gefangenschaft unter Nebukadnezar. Bewusst inszeniert Cárdenas
die Unstimmigkeit zwischen dem Figurencharakter Jeremias und der Botschaft, die
schon gleich der Titel seines Werks verheißt: Hoffnung; Signal auch für unsere,
scheinbar aussichtslose Zeit. Die Botschaft, gewonnen aus Unheil, ist
Heilsbotschaft.
Dabei erzählt
der Komponist die schlimme Geschichte vollständig: insofern, als er dem Hörer
auch die Verzweiflung nicht erspart. Mehr noch: in deren tiefsten Abgrund führt
er ihn. Sozusagen mit dem auskomponierten Nichts hebt sein Oratorium an: ein
schmerzhaft hoher Geigenton, vereinzelte perkussive Akzente anderer
Instrumente; fahle Düsternis: klangliches Sinnbild für das verwüstete,
„verwitwete“, verwaiste Jerusalem. Die hochgemute, hochmütige Prinzessin von einst
kauert verlassen in Sack und Asche. Jene Situation, ein bewegungsloses
Ereignis, hat Cárdenas in Atmosphäre übersetzt: Es ist die Vollendung eines
Verhängnisses, von der er da mit schlichten Mitteln erzählt.
Leis
lamentierend setzt der Chor ein, wie gelähmt erst, später sich ereifernd.
Vorübergehend gibt das Orchester dem inneren Druck explodierend nach - und
beteiligt sich dann doch, auch mit einer Kantilene der SoloTuba, an den
Klageliedern der Vokalisten. Im zweiten Abschnitt ergreifen die Nachbarn
Jerusalems höhnend das Wort: eilfertig zerreißen sie sich die Mäuler über die
Zerschlagene. Das Schlagzeug beteiligt sich, der Chor klatscht in die Hände und
pfeift - ganz wie der Text das vorsieht -, und der Solobariton schmäht mit
einem Jazz-Gesang von hinterfotziger Fetzigkeit.
Solch
erbarmungslosem Zynismus widerspricht anschließend ein zu Tode beruhigter
Mitleids-Appell; dessen Tonsatz verflicht Cárdenas, von den tiefen zu den hohen
Streichern aufbauend, in einer Fugen-Kontrapunktik von barocker Dichte. Der
Chor schreit Jammer heraus - doch gleich darauf, in einem unvermittelten, dabei
wunderbar schlüssigen Übergang, signalisieren spätromantische Orchesterakkorde
trostreiche Milde: kündigen künftigen Trost an, während der Chor noch von
Tränen und Trübsal singt. Abermals mischt der Bariton sich ein - und wechselt
dafür die Rolle: nicht mehr als Zänker tritt er auf, sondern als
Gnaden-Verkünder in einer Meditation, nur von Harfenarpeggien impressionistisch
untermalt. So gibt er freundlich, friedlich das Signal zum Neuanfang, zum
Neuaufbruch, den der Chor, aufgeladen mit positiven Energien, im marschartigen
Finalsatz vollzieht. Am Ende steht festlich strahlende Harmonie in reinem Dur,
beharrend wiederholt, viele Male, unumstößlich. Aus Hoffnung wurde Heil -
„durch Nacht zum Licht“: es ist die alte, die gute Geschichte.
Hören wir
also Sergio Cárdenas und seiner Musik zu: lassen wir uns eine Geschichte
erzählen. Nicht jeder Prophet kündet Unheil, und unter den Boten sind manche so
freundlich wie Engel.
Michael Thumser ist Kulturredakteur der
Zeitung „Frankenpost“, Hof/Saale. 30/06/2001
https://www.youtube.com/watch?v=G0r-nSYsdw4
S. CÁRDENAS: So I will hope, music for baritone, mixed chorus and orchestra.
Coro y Orquesta Sinfónica de Hof dirigidos por/ Hof Symphony Orchestra
& Chorus conducted by Sergio Cárdenas. Barítono/baritone: Jochen
Kupfer Coros suplementarios / Additional choirs: Müncherberg Bach Chor,
Chor der Bad Königshofen Berufhochschule für Musik.1. Oh, how lonely she sits (0:00)
2. All who pass your way (6:05)
3. All you who pass this way (11:15)
4. She passes her nights weeping (20:23)
5. This is what shall I tell (25:45)
6. My portion is the Lord (27:57)
"Sergio Cárdenas es uno de los directores más respetados de México y del sistema educativo musical. Además, se ha dedicado al rescate de obras desconocidas y de compositores mexicanos relativamente olvidados del discurso musical. No obstante, también ha compuesto obras como So will I hope, la cual se basa en los textos del profeta Jeremías. En ella, Cárdenas re-explora la pasión y el poder contenidos en los textos bíblicos, tal y como varios compositores de la época romántica y moderna como Florent Schmitt en su Salmo 47 (https://youtu.be/74qLWSI2XEg) o William Walton en el Festín de Baltasar."
"Sergio Cárdenas is one of Mexico’s most respected conductors and musical educators. Besides, he is dedicated to rescue unknown works and obscured or ostracized Mexican composers. However, he has composed works like So will I hope, which is based on texts by Prophet Jeremiah. On this piece, Cárdenas has re-explored the passion and power contained in biblical texts, much like romantic and modern composers have done it so like Florent Schmitt in his Psalm 47 or William Walton in Belshazzar’s Feast."
Conmovedores collages de la autoría de la artista BELA GOLD, creados con motivo del estreno mundial de SO I WILL HOPE
MICHELANGELO: El profeta Jeremías.
Capilla Sixtina, Vaticano, Roma, Italia.
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